@Wunderkammer Glattpark, Di 24.05.2022

Wenige, dafür umso engagiertere Besucher/innen fanden sich am ersten Quartierentwicklungsstammtisch am Dienstag 24. Mai in der Wunderkammer ein, zur Hälfte in Leutschenbach arbeitende zur anderen hier wohnende, was in etwa die vorgesehene Verteilung in Leutschenbach widerspiegelte.

Wenig Identifikation mit dem Quartier

Es wurde angemerkt, dass die meisten heute in Leutschenbach Arbeitenden sich nicht für das Quartier interessierten, sondern es nach Arbeitsschluss schnellstmöglich verliessen. Auch bei der neuen Bewohnerschaft ist nicht wirklich Interesse zu spüren. Ein gewisses Quartierleben gibt es in der alteingesessenen Bewohnerschaft im Grubenacker. Die neuen Häuser sind nach den Grundeigentümern / Arealen gruppiert: Metropolitans, Wolkenwerk, Heineken, Hunziker, Andreaspark etc. Auch bei den Gewerbegebäuden entlang der Thurgauerstrasse handelt es sich um Solitäre. Moderator Christian Häberli regte denn auch an, dass sich die Bewohnenden das Quartier aneignen müssten. Es sei anders als bei der Entstehung eines Dorfes oder einer Stadt: Dort seien die Häuser von Leuten gebaut worden, die dort wohnen wollten. In Leutschenbach hätten Investoren Häuser gebaut und dann Leute angezogen, um sie zu bewohnen. Die Umnutzung war damals DIE Chance für das Kleingewerbe, das hier an der Ausfallachse zum Flughafen Parzellen besass. Viele Wohnungen sind auch heute noch Investitionsobjekte. Selbst die vielen Kinderkrippen betreuen die Kinder der hier Arbeitenden. Im Andreaspark wird sogar um Jetsetter geworben: „Hier wohnen Sie, wenn Sie gerne unterwegs sind“. Auch im Glattpark wohnen wohl 40% Expats, die sich wenig für das Quartier interessieren.

Keine gemeinsame Identität und weitere Defizite

Leutschenbach wird arealweise überbaut und jede Überbauung hat seinen Anspruch, will ein Leuchtturm sein. Da stehen “high-end towers” neben städtischen / genossenschaftlichen Siedlungen oder Kleingewerbe. Jede Einheit ist ein Ufo, eine Blase mit einer spezifischen Bewohnerschaft: Im Mehr als Wohnen wohnen Nachhaltigkeitsorientierte (wie in der Kalkbreite), das Wolkenwerk spricht Architekten an, der Grubenacker besteht aus den ehemaligen Arbeiterhäusern. Es stellt sich also die Frage, ob die Leute eher Anonymität oder Identität haben wollen. Viele Menschen sind vom Dorf weggezogen und geniessen die Anonymität der Stadt. Finden wir einen gemeinsamen Nenner, den wir hinaustragen können? Kann man sich in Leutschenbach zuhause fühlen ohne grad in rückwärtsgewandten Lokalpatriotismus zu verfallen?

Die sozialräumliche Entwicklung findet tatsächlich in den Innenhöfen und im Innern der Siedlungen statt. Vielleicht geht diese Innenentwicklung einer allgemeinen Entwicklung voraus? Das Mehr als Wohnen hat ein fast schon überbordendes Quartierleben, von dem der benachbarte Andreaspark wohl nur profitieren könnte. Vielleicht hat die Innenorientierung etwas mit dem gewaltigen Baulärm zu tun: Am Tag ist es sehr laut im Quartier, am Abend und am Wochenende sind die öffentlichen Räume weitgehend menschenleer.

Was fehlt sind Treffpunkte. Z.B. eine “Quartierbeiz”, mit preisgünstigen Angeboten auch an Abenden und Wochenenden. Was es ausreichend hat: Takeaways, welche auf die zahlreichen hier arbeitenden Menschen ausgerichtet sind. Auch Treffpunkte im Quartier für spezfische Altersgruppen fehlen.

Grenzen und Verbindungen

Leutschenbach ist ein Grenzgebiet zwischen Oerlikon, Seebach, Schwammendingen, Opfikon und Auzelg – also ein eigentliches Zentrum. Diese Grenzen werden von den Diskutierenden als nicht relevant erachtet, da es ein einziger Siedlungsraum ist. Doch die Institutionen müssen sich daran halten. Ist man „Opfiker“, wenn man in der Migros Glattpark einkauft? Dennoch gibt es z.B. eine Zusammenarbeit zwischen dem Lokalinfo Zürich Nord und dem Opfiker Stadtanzeiger. Es soll noch vermehrt aus diesen Grenzen ausgebrochen werden, z.B. die „Chinesische Mauer“ zwischen Opfikon und Leutschenbach niedergerissen werden, da die Grenze künstlich ist. Benedikt Loderer hat vor zehn Jahren die Glattalstadt angedacht und das „glow“ (glow.ch) wird auch als Silicon Valley der Schweiz bezeichnet.

Die Verbindungen werden unterschiedlich wahrgenommen und gewichtet: Zwischen Leutschenbach und dem Zürcher Stadt-Zentrum, zu Oerlikon, zum Glattpark oder zum Seebach auf der anderen Seite der Schienen (Stierli Areal!). Die Verbindung zu Oerlikon Ost (Andreasturm) oder Alt-Oerlikon (Markt) ist baulich gestört. Der Bezug zum „anderen“ Seebach ist vom Bahndamm unterbrochen; für gewisse Leute muss dieses mit dem Auto erreichbar sein. Bezüge bestehen bereits zwischen dem Grubenacker und anderen IGs, der Wunderkammer zu anderen Brachen / Kulturräumen. Oder soll der Leutschenpark ein ganz eigenes Zentrum mit Piazzacharakter werden? Dies ist mit dem Baulärm und den Kränen momentan nur schwer denkbar.

Trotz allem könnte es hilfreich sein, wenn es in einem Gebäude um den Leutschenpark so etwas wie eine “Quartierauskunftsstelle” gäbe, die den hier wohnhaften Menschen minimale Hilfestellung im Bezug aufs Quartier gibt.

Wer trägt? Die Initiativen

Was wir eigentlich wollen, ist ein belebtes Leutschenbachquartier, eine aktivierte Bewohnerschaft. Doch wie gross ist die Menge, die eine eigene Meinung zum Quartier hat oder sich gar dafür einsetzen möchte? Gibt es junge Menschen, die mittragen wollen, eine Gemeinschaft aufbauen? Ist eher eine Konsumhaltung vorherrschend? Wo gibt es eigentlich noch Freiräume, wo man etwas machen kann? Wo ist die Kultur, wo das Gewerbe? Wo gäbe es Räume für eine Zwischennutzung? Wie kann man Leute aktivieren zum Projekte und Umnutzungen machen? Die Quartierstammtische könnten eine Anlaufstelle für Interessierte sein, die Vorschläge für Zwischen- / Umnutzungen haben.

Das GZ hat bereits einen Raum im Souq (städtische Wohnsiedlung auf dem Heineken Areal) reserviert und betreibt im Auftrag des Mehr als Wohnen einen Jugendtreff (Leutschi Treff). Der Grubenacker plant ein Quartierkafi im Schützenhaus. Die evangelische Kirche beschränkt sich zur Zeit auf mobile Kirchenarbeit, das GZ zur Zeit mobile Jugendarbeit, ist aber an einer Mitbenutzung des Schützenhauses interessiert.

Könnte das Busdepot ein Raum für Zwischennutzungen werden? Wo Initiativen aus der ganzen Stadt Vorschläge für Projekte machen können? Wie können Leute aktiviert werden?

Was passiert mit den Bürogebäuden entlang der Thurgauerstrasse? Wären hier Räume zum Zwischen- oder Umnutzen erhältlich? Das Bürogebäude von Angst und Pfister wird bald abgerissen und zwei Wohntürme gebaut.

Könnte im Leutschenpark ein Wochenmarkt stattfinden? Momentan ist der Park ausser in den Mittagspausen der Angestellten ungenutzt. Es wird bemängelt, dass es kein abgegrenzter Raum ist, sondern an den Rändern zerfranst. Ausserdem hat es rundherum keine Angebote wie Restaurants, Cafés, Einkaufsmöglichkeiten, Kitas bzw. diese Angebote sind zu weit weg vom Park entfernt. Ebenso fehlen Spielplätze, Planschbecken, Sportgeräte o.ä. auf dem Platz. Es sind aber Sockelnutzungen im Souq geplant.

Chancen

Als Quartier zwischen Flughafen, Messe und Hallenstadion und mit dem Fernsehstudio ist Leutschenbach ein wichtiger Ort. Auch ist der ÖV gut ausgebaut. Mit H.R. Giger oder dem Bassisten einer bekannten Popband wohn(t)en auch bekannte Leute da. Diese Potenziale sind nicht ausgeschöpft. Könnte das Fernsehstudio als abgeschlossener Ort nicht wie das Opernhaus eine Bar / ein Café betreiben? Einwand: Eine solche Bar wurde am Eingang zum Glattpark bereits initiiert, ist dann aber eingegangen – das Gewerbe hat es schwer in Leutschenbach, da es keine Laufkundschaft oder Leben hat. Erdgeschossnutzungen sind schwierig zu betreiben – die Pizzeria im Leutschentower (die einzige, die am Samstag offen hat) ist immer leer.

Kultur am Stadtrand gibt es regelmässig z.B. in der Wunderkammer Glattpark, in Hombi’s Salon im Mehr als Wohnen oder im Studio Pianoforte an der Grubenackerstrasse. Einmal im Jahr findet das Leutschenbach Kunstdreieckfestival statt.

Ebenfalls positiv erwähnt wurde die Gestaltbarkeit und Offenheit Leutschenbachs – ein spannender Raum, da noch nicht alles gesetzt ist. Auch gibt es auf kleinstem Raum wilde Gärten von Einfamilienhäusern neben dem gestylten Aussenraum von Wohntürmen, Gewerbe neben Wohnen und eine maximalen Durchmischung unterschiedlicher Menschen und sozialer Gruppen.

Trotz des häufigen Fluglärms wird die “Ruhe” im Leutschenbach ebenfalls als Pluspunkt erwähnt.

Und Last-but-not-least: Leutschenbach hat dank oder wegen der Präsenz von SRF eine grössere Bekanntheit als manch anderes Quartier in der Stadt Zürich.

Schwierigkeiten

Seebach hat aus früheren Jahren ein teilweise schlechtes Image (Jugendgewalt etc.), aber viele wissen nicht, was es hier alles hat – terra incognita hinter dem Milchbuck. Leutschenbach wurde immer als Hinterhof betrachtet, war zuerst Sumpfgebiet, dann Gewerbe, das man andernorts nicht wollte. Imagepflege steht also an erster Stelle und die Leute dazu bringen, Grenzen zu überschreiten.