@Schützenhaus Grubenacker, 31.08.2022

Der zweite Stammtisch thematisierte die Planungsgrundsätze der Expertinnen – im Bild die Testplanung 2012
15 Nachbar:innen nahmen am 31.08. am zweiten Quartierentwicklungsstammtisch im Schützenhaus/Grubenacker zum Thema Planungsgrundsätze in Leutschenbach teil. Eingeladen waren Planerinnen, die in den letzten zwölf Jahren in verschiedenen Projekten involviert waren und so die Quartierentwicklung mitgeprägt haben:
– Beatrice Aebi: Testplanung „Leutschenbach Mitte“
– Catherine Rutherfoord: Städtische Wohnsiedlung Heineken Areal („Souq“)
– Claudia Thiessen: Planerin Hunziker Areal / Mehr als Wohnen
Beatrice Aebi versetzte uns zurück in eine Zeit, als Leutschenbach noch ein Industrie- und Gewerbegebiet war und von den Wohnnutzungen erst Ansätze zu erkennen waren. Nur grad das Fernsehstudio, das Leutschenbach-Schulhaus und die Genossenschaft Mehr als Wohnen waren für eine künftige Entwicklung als Fixpunkte vorhanden. Die Testplanung musste also sämtliche städtebaulichen Rahmenbedingungen konkretisieren. Es waren drei Etappen definiert worden: Zuerst die Zentrumszone mit 20-80% Wohnanteil, die freiräumliche Vernetzung und die Aussenraumgestaltung. Im zweiten Teil sollte die Verlegung der Busgarage angedacht werden. Im dritten Teil würden die Gebiete ausserhalb der Stadtgrenze in Opfikon (Opfikerpark, Glattraum) umgesetzt werden.
Die Testplanung war ein eineinhalbjähriger Prozess mit einer komplexen Projektorganisation. Involviert waren von den Grundeigentümern und den städtischen Institutionen über den Quartierverein, den Immobilienentwicklern bis zu den 16 Bewerberteams für die Planung unterschiedliche Anspruchsgruppen. Schlussendlich legten ein holländisches Team, Hera/Vogel und Pool Architekten 2010 drei mögliche Szenarien vor, aus denen eine Synthese resultierte: Eine dichte Bebauung zwischen der Thurgauerstrasse und dem Mehr als Wohnen, die am Rand Hochhäuser, im Innern 4-6 stöckige Häuser vorsah, Das Das Leitbild sah Leutschenbach als Subzentrum vor, ein Mischgebiet mit Wohnen und Arbeiten.
Die Pendenzenliste umfasste das vbz Busdepot, den Glattraum (Opfikon/fil bleu) und den „Inneren Garten“; das SRF wollte sich auf ihren Standort fokussieren. Aber auch grundsätzliche Fragen stellten sich: Was spielt Leutschenbach für eine Rolle in Zürich? Die Industrie war gegangen, das Subzentrum wandelte sich von der Industriezone zum Entwicklungsgebiet. Auch die Fragen aus dem Publikum schlugen in diese Kerbe: Wo blieb das kulturelle und soziale Leben in Leutschenbach in der Planung? Wie sollten die unterschiedlichen Menschen im neuen Quartier zusammenkommen, kann die bestehende grosse soziale Durchmischung funktionieren und wie? Offenbar hatten sich die vielen involvierten Soziolog:innen auf Wohnen und Arbeiten konzentriert (3-4 Stockwerke Arbeiten, der Rest Wohnen); zu jener Zeit war es schwierig das Zusammenleben in einem Quartier abzuschätzen, in dem grade mal im Andreaspark und im Grubenacker gewohnt wurde – die entstehende Struktur ist nicht organisch gewachsen, wie dies in alten Siedlungsgebieten der Fall ist. Auch öffentliche Dienstleistungen wie eine Post, ein Kirchgemeindehaus, Kultur oder ein Grossverteiler waren nicht diskutiert worden, da sie nicht in der Aufgabenstellung enthalten waren.
So kam es, dass in den Metropolitans keine Publikumsnutzungen entstanden, im Gegensatz zur Hagenholzstrasse, wo Kleintierärzte, ein Kosmetikshop, eine Schneiderei und ähnliche Erdgeschossnutzungen (freiwillig, ohne Planung?) entstanden. Solche Nutzungen gehen über das Leitbild oder den Richtplan hinaus, die nicht parzellenscharf sind. Grundsätzlich liegen Publikumsnutzungen in der Entscheidungsmacht des Eigentümers oder sind Verhandlungssache.
Catherine Rutherfoord griff als AL-Gemeinderätin und Initiantin des „Souq“ direkt in die Entwicklung von Leutschenbach ein: Eine städtische Siedlung auf dem Heineken-Areal sollte die vorbildliche Planung von Schulhaus und Freiflächen in Leutschenbach ergänzen, die Stadt mit einer eigenen Siedlung im neuen Quartier präsent sein – heute mit 370 Wohnungen die zweitgrösste städtische Siedlung in Zürich.
Die Testplanung sah noch Hochhäuser vor, die die SVP als zu teuer einstufte. Schliesslich gewann ein junger Dübendorfer Architekt den Wettbewerb mit einer Blockrandbebauung, die mit Pergolen und Laubengerüsten als Filter den Innenraum schützte und gleichzeitig Hofgebäude zur Belebung vorsah. Die Bebauung weist die doppelte Dichte des (dichten) Mehr als Wohnen auf und ist damit ähnlich dicht wie Hochhäuser. Auch hier wurde vom Publikum bemängelt, dass das Souq gegen innen gekehrt ist und mit einer geschlossenen Fassade ohne Balkone und versiegeltem Aussenraum keine Attraktivität gegen aussen entwickelt – ein Grund, warum 2018 die Quartierentwicklungsstammtische von der Wunderkammer initiiert wurden.
Dass bei der Planung von Leutschenbach auf (suburbanes) Arbeiten und Wohnen fokussiert wurde, hatte mit der Wahrnehmung von Oerlikon und Opfikon als Zentren zu tun. Die BZO Hofmann hatte Zentrumszonen anstelle der Industriezonen vorgeschlagen, als Mischgebiet von Wohnen, Handel, Verwaltung und mässig lautem Gewerbe. Doch wie sollten diese ausgestaltet sein? Zwar generierten sie Dichte, doch Kultur, Soziales, Freiräume oder Angebote waren nicht vorgesehen. Das ist immer noch das Problem von Neu-Oerlikon. Oder wie das Publikum fragte: Wie sieht ein Zentrum aus? Wie die Langstrasse? Wo muss man justieren? Benedikt Loderer hat Leutschenbach als Gebiet zwischen Stadt und Land bezeichnet. Widerspruch: Leutschenbach ist extrem urban, viel urbaner als die Langstrasse.
Claudia Thiessen bemerkt verschmitzt zum Thema, dass Futurafrosch auf dem Hunziker-Areal einen neuen Idaplatz errichten wollte. Gleichzeitig war das Gebiet zwar Wohn- (nicht Zentrums-)zone, jedoch herrschte bei vielen die Meinung, dass dort nicht gewohnt werden konnte. Erst das Genossenschaftsjubiläum 2007 motivierte viele Genossenschaften dazu, dennoch ein gemeinsames Wohn-Experiment zu starten und Nachhaltigkeitstechnologien auszuprobieren. Die Frage war, wie in Zukunft gewohnt werden sollte, welche Entwicklungsspielräume bestanden, um ein Quartier aufzubauen. Schlussendlich wurde die als Quartier geplante Siedlung von der Dynamik rundherum überrollt. Konnte das Mehr als Wohnen eine Zentrumsfunktion einnehmen mit Erdgeschossnutzungen, breiten Angeboten und intensiven partizipativen Aktivitäten. Weniger ein Thema war die Vernetzung im Quartier, also gegen aussen.
Die folgende Diskussion zeigte auch bei den Anwesenden Divergenzen. Die einen waren Verfechter des menschlichen Massstabes und gegen die geplanten Hochhäuser. Dagegen wurde argumentiert, dass in anderen Städten durchaus ein Sozialleben in den Hochhäuser stattfindet – die Typologie bestimme die Möglichkeiten des Gemeinwesens nicht ursächlich. Die einzigartige Durchmischung in Leutschenbach – hochpreisiges Eigentum, ehemalige Arbeitersiedlung, Genossenschaften und städtische Siedlung, mit ihrem je eigenen Klientel – wurde von den einen als Problem, von den anderen als Chance gesehen. Wie kann eine gemeinsame Identität geschaffen werden? Gibt es bei z.B. Expats überhaupt das Bedürfnis nach einem Gemeinwesen, sozialer Interaktion im Quartier? Ist von den Bewohner:innen z.B. der Metropolitans überhaupt „Leben“ gewollt oder vielmehr Ruhe? Diese Fragen führten zur Frage des Lärms: Wieviel Gastronomien, Kultur oder Aktivitäten im Aussenraum werden gewünscht/tolleriert? Was ist mit dem Verkehr? Führt er zur Belebung oder ist er ein Störfaktor; im Glattpark erstickt die Verkehrsberuhigung das Leben, Gastro oder Kultur im Keim.
Wo könnten lebendige Orte entstehen? An der Thurgauerstrasse gäbe es Ansatzpunkte, z.B. könnte das von der Stadt gekaufte Kissling-Haus zu einem Sozialzentrum umgenutzt werden. Wo steht die Testplanung zur Thurgauerstrasse? Erdgeschossnutzungen sind für die Eigentümer fakultativ, so dass vielleicht eher im Aussenraum angesetzt werden könnte, damit die gebaute und die soziale Welt zusammenkommen. Hier hat die Stadt Spielraum zur Gestaltung und sollte diesen in Workshops mit der Nachbarschaft erarbeiten. Welche Instrumente hat die Stadt sonst noch? Den Mehrwertausgleich? Schlussendlich zählt der politische Wille, da herrschte Konsens in der Runde – der innere Garten z.B. wurde vom SRF schlussendlich in ihr Projekt integriert und so Chancen geschaffen. Der Quartierentwicklungsstammtisch zeigte vor allem eins: Es gibt mehr Fragen zur sozialräumlichen Entwicklung in Leutschenbach als Antworten. Leutschenbach wurde als unfertig, als Experimentraum mit einer ganz neuen Quartierstruktur empfunden, wie sie so in Zürich nirgends existiert. Erfahrungen aus neuen Planungsgrundsätzen (Verkehrsberuhigung, dichte Bebauung), eine neuartige Sozialstruktur (maximale Durchmischung), Urbanität ohne entsprechende Angebote oder undefinierter Aussenraum oder fehlende Bezüge sowie eine noch nicht entwickelte Identität / Ort im Stadtgefüge wurden als Herausforderungen gesehen, auf die die bisherige Planung keine Antworten liefern konnte. Um diese zu meistern wurde ein partizipativer Prozess vorgeschlagen, dem jedoch der politische Wille zugrunde liegen muss, mit der Bevölkerung entsprechende Lösungen zu erarbeiten